Reiselogbuch Leoniden 2001 Seite 1

Für den 19.11.2001 war der größte Leonidensturm seit 1966 und zugleich der erste und letzte Leonidensturm des 21'Jahrhunderts prognostiziert. Leider sollte dieses Ereignis von Europa aus nicht sichtbar sein. So machten sich allein aus Deutschland 4 Gruppen mit Sternschnuppenjägern auf den Weg in den fernen Osten. Je ein Team fuhr nach Korea, in die Mongolei, nach Australien und nach China. Die China-Truppe bestand aus 24 Mann und wurde in 2 Sub-Gruppen zu je 12 Leuten aufgeteilt. Ich gehörte zur Lindian-Gruppe. Lindian ist eine mittelgroße Stadt im Nordosten Chinas. Mit 85% Wahrscheinlichkeit sollte hier der Himmel sternklar sein. Der gesamte Urlaub umfaßte 14 Tage. Da für die eigentliche Sternschnuppenbeobachtung nur 3 Nächte vorgesehen waren, gab es reichlich Gelegenheit für ein 'Buntes Programm'. Der Zielflughafen für die An- und Abreise war die alte Kaiserstadt Peking, eine pulsierende Metropole, ohne kommunistische Tristesse.
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Die Skyline von Peking wird dominiert von Wolkenkratzern

Hier ist deutlich zu spüren das sich China dem Westen geöffnet hat. In den Geschäften sind die Regale gut gefüllt und auf den Straßen tummeln sich die Autos. Man muß sich jedoch hüten zu glauben, dass der Wohlstand der Hauptstadt im ganzen Land wiederzufinden ist. In ganz China gibt es nur 18 Mio. Fahrzeuge und das bei einer Bevölkerung von 1,3, Milliarden Menschen! In den ländlichen Regionen sieht es ganz anders aus. Dort leben jedoch mehr als 80% der Bevölkerung. China ist immer noch weitgehend ein Agrarstaat. Die beiden bedeutendsten Sehenswürdigkeiten in Peking sind der Himmelstempel und die verbotene Stadt. Die verbotene Stadt ist die ehemalige Residenz der chinesischen Kaiser. Die heutige Anlage wurde zum größten Teil während der Ming-Zeit vor etwa 600 Jahren erbaut. Die Ming-Kaiser verlegten ihre Hauptstadt in den Norden, um von hier aus die Grenze zu den mongolischen Steppen besser im Auge behalten zu können. Unter der Ming-Dynastie wurde auch der noch heute sichtbare Teil der chinesische Mauer erbaut. Die Mauer ist daher nur 2 Autostunden von Peking entfernt. Der Kaiserpalast besaß 9999 Räume, von denen noch ca. 9000 erhalten sind. Ein Raum definiert sich dabei allerdings als die Fläche zwischen 4 Säulen. Ein chinesischer Raum muß also nicht zwingend mit Mauern umfaßt sein. Dennoch ist der Palast riesengroß. Dies wird deutlich, wenn man bedenkt, dass etwa 15000 Menschen in ihm lebten. Die verbotene Stadt ist mit einer 10m hohen Mauer und von einem 52m breiten Wassergraben umgeben. Dem Palast vorgelagert ist der 'Platz des himmlischen Friedens'. Hier spürt man am ehesten den imperialen Anspruch des chinesischen Reiches. Dieser Platz ist der größte der Welt und kann mehr als 0,5 Mio Menschen aufnehmen.
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Der Platz des himmlischen Friedens. Hier ist nur der Teil zwischen Mausoleum, Parlament und dem Tor des himmlischen Friedens zu sehen. Auf der anderen Seite ist der Platz noch mal so groß!


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Das Tor des himmlischen Friedens gehört schon zum Palastbezirk. Kenntlich ist dies an den gelben Dachziegeln. Die Farbe Gelb war dem Kaiser vorbehalten.


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Die Halle der vollkommenden Harmonie ist das wichtigste Repräsentationsgebäudes des Palastes. Der Platz ist gesäumt von Löschwasserkesseln, denn der gesamte Palast ist aus Holz gebaut!


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Die hölzerne Decke der Halle der vollkommenden Harmonie

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Hier trohnte der Kaiser.


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Neben der Halle der vollkommenden Harmonie befinden sich Statuen von Kranichen und Schildkröten. Diese Symbole von langlebigen Tiere sollten dem Kaiser ein langes Leben bescheren. Die Zahl der Giebelfiguren ist ein Maß für die Bedeutung eines Gebäudes und die Stellung seines Erbauers. Die Anzahl ist immer ungrade. Hier sind 9 Figuren zu sehen.


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Gigantische Weihrauchfässer gaben den Auftritten des Kaisers die richtige (Duft-)Note.


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Hinter den 3 Harmoniehallen befinden sich die eigentlichen Wohngebäude des Palastes. Platz für 15000 Menschen!


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Hier die Wohnräume der kaiserlichen Konkubinen.


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Ihrem geringeren Status entsprechend hatten die Wohnräume der Konkubinen nur 7 Dachreiterfiguren. (Die erste und letzte Figur werden nicht mitgezählt!)


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Privat ging es bei Kaisers eher gemütlich zu.

Zwischen Platz und Palast befindet sich das 'Tor des himmlischen Friedens'. Es wurde um 1417 erbaut. Heute wird es von einem gigantischen Mao Portrait geschmückt. Trotz Oeffnung nach Westen ist Mao-Tse-Tung im chinesischen Volk nicht vergessen. Er ist auf den Geldscheinen abgebildet und die Mao-Bibel wird an jeder Ecke an Touristen verkauft. Anders als die Lenin-Mumie, kann die einbalsamierte Mao-Leiche immer noch im Mausoleum besichtigt werden. Der Palast bildete das Zentrum der Hauptstadt. Um ihn herum befinden sich in den 4 Himmelsrichtungen, 4 große Tempelanlagen. In Ost- und West gibt es den Sonnen- und den Mondtempel, im Süden den Erdtempel und im Norden den Himmelstempel.
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Am Eingang des Himmelstempels der Himmelsaltar. In seinem Zentrum vereinigten sich nach dem Glauben der alten Chinesen Himmel und Erde.


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Hier betete der Kaiser zur Vorbereitung der weiteren Zeremonien. Heute kann an diesem Punkt jeder beten. Die Bitte um gutes Beobachtungswetter war erfolgreich.

Der Himmelstempel ist die größte und besterhaltene Tempelanlage in Peking. In seiner Grundfläche ist er größer als der Kaiserpalast und doch wurde dieser Tempel nur zweimal im Jahr vom Kaiser benutzt. Während einer Gebetszeremonie zur Sonnenwende diente er dazu eine gute Ernte und den Segen des Himmels für Kaiser und Volk zu erbitten. Die heutige Anlage stammt im wesentlichen aus dem Jahre 1420. Einige Teile wurden jedoch im 16' und 18'Jhr. ergänzt.
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Das Gelände ist nur gering bebaut. Viel Raum wird von den repräsentativen Prachtstraßen benötigt. Die Eingangstore besitzen eine Dreiteilung. In der Mitte wurde der Kaiser mit einer Sänfte hindurchgetragen. Zu seiner Linken schritt seine Familie. Zu seiner Rechten nahmen die wichtigsten Staatsbeamten an der Prozession teil.


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Die Dachziegel des Himmelstempels sind entsprechend der Himmelsfarbe in Blau gehalten. Der Status der Sakralbauten war geringer als der des kaiserlichen Palastes. Man beachte das im rechten Bild nur 5 Giebelreiter zu sehen sind!


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Im inneren der Tempelgebäude befinden sich Tafeln mit den Namen der verehrten Götter und Ahnen. Die traditionelle chinesische Kunst kannte keine Götterbilder.


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Die wichtigsten Stationen der Reise. Lindian ist etwa 1,5 Autostunden von Tsitsihar entfernt und auf dieser Karte nicht eingezeichnet

Von Peking aus erfolgte die Weiterreise per Bahn nach Harbin. Harbin ist die Hauptstadt der Provinz Mandschurei. Die Entfernung von Peking beträgt 1388 Bahnkilometer. Die Fahrt erfolgte per Schlafwagen 1. Klasse in einem Softsleeper. Die chinesische Bahn unterscheidet 4 Klassen Softsleeper, Hardsleeper, Softseater und Hardseater. Die Softsleeper sind nicht wirklich soft, es handelt sich eher um 4 harte Pritschen in einem geschlossenen Abteil. Dennoch ist der Softsleeper im Vergleich mit einem Hardsleeper noch erträglich. Die Hardsleeper gleichen riesigen Hochregallagern. In jedem Fach liegt ein schlafender Chinese.
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Im 'Softsleeper' wurde eine schlaflose Nacht verbracht.

Zum Zug gehörte auch ein Speisewagen. Leider verstand die Bedienung kein Wort Englisch. Um den Magen zu füllen mußte man auch gut Glück auf eine der Zeilen der Speisekarte verweisen. Die 3 bestellten Gerichte erwiesen sich leider allesamt als Nieten. Das Abendessen bestand am Ende aus zerkochten Kraken, gekochten Lauch und einer undefinierbaren Erdnußsoße. Der Appetit mußte daher mit Flüssigbrot gestillt werden. Das chinesische Bier schmeckt recht gut, ist jedoch nach deutschen Maßstäben eher eine Art Limonade. Der Alkoholgehalt liegt bei nur 3,5 %. In Harbin wurde der Nationalpark für die 'Sibirischen Amur-Tiger' besichtigt. Die Busfahrt zum Hotel führte an weiteren Sehenswürdigkeiten vorbei. So war durchs Fenster der russische Gouverneurspalast zu sehen.
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Der russische Gouverneurspalast

Die Mandschurei war vor dem Russisch-Japanischen Krieg von 1906 ein Teil des Zarenreiches. Auch heute noch gibt es eine Minderheit mit Nachfahren der ehemaligen russischen Besatzungsmacht. Von Harbin aus erfolgte die Weiterfahrt nach Tsitsihar. Die 2,5 Stunden dauernde Bahnfahrt führte durch die mandschurische Steppenlandschaft. Gelegentlich waren Erdölförderanlagen zu sehen.
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Wirtschaftsstruktur der Mandschurei. Graue Quadrate bedeuten Erdölförderung, schwarze Quadrate Kohleförderung

China deckt mehr als die Hälfte seines Rohölbedarfs in der Mandschurei. Der Reichtum an Kohle, öl und Erzen führte dazu, dass sich die Mandschurei in diesem Jahrhundert zum Zankapfel zwischen Rußland, China und Japan entwickelte. Erst nach fast 50 Jahren Krieg erhielt China endgültig den Zuschlag. Heute ist die Mandschurei ein Zentrum der chinesischen Schwerindustrie. Harbin und Tsitsihar zählen mit 3,3 Mio. und 1,3 Mio. Einwohnern zu den größten Städten. Von Tsitsihar ging es per Bus weiter nach Lindian. Lindian ist mit 300 Tausend Einwohnern eher eine der kleineren Ortschaften. Von der Pracht der (Provinz-)Hauptstädte ist hier nicht mehr viel zu spüren. Es gibt nur ein zentrales Viertel mit größeren, modernen Gebäuden, die Masse der Einwohner lebt in Slums.
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Die Skyline von Lindian auf dem Cover des offiziellen Reiseführers der Stadt


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Typisches Straßenbild in Lindian

Statt Taxis gibt es noch Fahrradrikschas, Pferd und Esel wurden noch nicht durch die Maschine verdrängt.
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Fahrradrikschas vor dem Krankenhaus und in der Stadt

Westliche Besucher sind sehr selten. Dies merkte man z.B. beim Einkaufen. Um jeden Europäer bildete sich sofort Menschentraube mit gaffenden Chinesen die ihm auf Schritt und Tritt folgte. Jede Tour durch die Stadt wurde so zu einer kleinen Prozession. Wir waren die ersten Touristen in Lindian. Daher wurden wir behandelt wie Staatsgäste. Gleich am ersten Abend gab der Bürgermeister uns zu Ehren einen Empfang.
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Essen mit dem dem Ressortleiter für Bildung und Wissenschaft. Links neben ihm unser Dolmetscher.


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Die Unterbringung war akzeptabel. Natürlich gab es auch ein paar Minuspunkte. Im Bad roch es nach Schimmel und die Klospülung funktionierte nicht.
Die übliche Heizung mit Kohle sorgte in der ganzen Stadt für eine stickige Luft.
Auf dem WC eine Flasche Cola der Marke: 'The Future will be better'. Der Name läßt Rückschlüsse auf die momentane Qualität zu.

In China steht die Stadt verwaltungstechnisch über den Landkreisen. Der Bürgermeister von Lindian repräsentiert daher weit mehr Menschen als nur die 300 Tausend Einwohner seiner Stadt. Wie ein deutscher Ministerpräsident verfügt er über ein eigenes Kabinett. Die einzelnen Ressortleiter wechselten sich beim Vorsitz an unserer Tafel ab. Jeder von ihnen hielt es natürlich für notwendig auf die deutsch-chinesische Freundschaft einen Toast auszubringen. Der Versuch vom 60%tigen Reisschnaps auf Wasser umzusteigen wurde mit dem Hinweis unterbunden, dass es sich unter Freunden nicht gehört mit Wasser anzustoßen. Innerhalb kürzester Zeit war die gesamte Gruppe ziemlich besoffen. Der Abend endete damit, das mit dem kompletten Kabinett auf Bruderschaft getrunken und danach mit dem halben Kabinett eine Nacktbadetour unternommen wurde.
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Da es keine eigenen Fotos gibt, hier ein gescanntes Bild aus dem offiziellen Reiseführer der Stadt

Lindian ist bekannt für seine heißen Quellen. Das dortige Hotel sollte uns als Basis für die Leonidenbeobachtung dienen.
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Das Hotel an den heissen Quellen

Doch bis dahin war noch 3 Tage Zeit. Diese Zeit wurde genutzt, um Lindian etwas besser kennen zu lernen. So wurde uns u.a. eine Behindertenschule und ein Krankenhaus besucht. Immer wieder gab es interessante Details zu entdecken. So wird in China eine Lautschrift mit lateinischen Lettern verwendet, um den Kindern die chinesische Schrift beizubringen und im Krankenhaus waren neben westlicher Apparatemedizin auch alte chinesische Heilverfahren zu sehen.
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Zum Empfang der westlichen Besucher war das komplette Klinkpersonal vor dem Haus angetreten


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Chinesische Medizin: Akupunktur und eine Streckbank gegen Rückenschmerzen


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Nachher eine Pressekonferenz

Die chinesischen Gastgeber waren stets sehr entgegenkommend. Als wir wegen des Wetters in Sorge gerieten, wurde ein Meteorologe zur Verfügung gestellt, der uns für die Sternschnuppennacht eine exakte Prognose geben konnte. Das Wetter der ersten 3 Tage hatte einen stets gleichbleibenden Verlauf. Morgens herrschte eine hochnebelartige Bewölkung die sich gegen Mittag auflöste und nach Mitternacht erneut aufbaute. Dies führten wir auf die Lage in einer Tiefebene mit Reisanbau zurück. Im Notfall wollten wir dem Sumpfgebiet durch eine Flucht in das 6 Autostunden entfernte Chingan-Gebirge entkommen. Es bildet eine Wetterscheide zwischen der Mandschurei und der mongolischen Steppe im Westen. Glücklicherweise konnte uns der Meteorologe für die Leonidennacht Entwarnung geben. Rechtzeitig baute sich ein Hoch mit sehr trockener und kalter Festlandsluft auf. So waren während des Maximums die Bedingungen optimal. Weil Nachts die Straßenbeleuchtung abgeschaltet wurde, verursachte Lindian nur einen kaum sichtbaren Lichtkegel. Die Grenzgröße lag daher während der gesamten Nacht über 6.5 mag, Milchstraße und Zodiakallicht waren bis zum Horizont bestens zu erkennen.
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Seite 2 des Leonidenberichts 2001
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Leonidenseite des Reiseteinehmers Lutz Clausnitzer
Ein Leonidenartikel vom Reiseorganisator Reinhardt Wurzel (461 kb). Trotz einiger Fehler die sich durch die redaktionelle Bearbeitung eingeschlichen haben, lesenswert!
Der Leonidensturm 1999
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